Freitag, 7. April 2017

"Are you ready?" - Expedition in ein unverwaschenes, beseeltes Vietnam.

Er hat mir zu Beginn versichert: "Einmal Motorrad, niemehr Bus!" Und ja! Ich bin definitiv abhängig geworden! Süchtig nach dieser ganz speziellen Art, das Land zu bereisen, zu spüren und aufzusaugen. Er hat mir auf seinen zwei Rädern eine Seite von Vietnam gezeigt, die so pur, so lebendig, so urtümlich und einzigartig ist, daß ich das Gefühl hatte, einen Einblick in die mannigfaltig sprudelnde Seele dieses Landes zu bekommen.
Keinen Tag mit ihm habe ich bereut. Und jeder war eine leuchtende Überraschungsbox und Abenteuerkiste in einem! Denn ich habe mich darauf eingelassen, eben keinen Plan zu haben. Nichts im Vorraus zu wissen. Einfach aufzusitzen, "I am ready!" zu brüllen und mit Hoan loszubrausen. Oh Mann! Wie ich meinen "Crazie Driver" vermisse! Er war der beste Travel-Buddy und sicherste Fahrer, den ich aufstöbern konnte! - Eigentlich hat er mich ja gefunden, nicht andersherum. - Ein aufrichtiger, enthusiastischer, aufmerksamer und verdammt lustiger Typ, der wie ein wandelndes Buch alles, aber auch wirklich alles wußte. Der leidenschaftlich vom für Vietnam so desaströsen Krieg erzählt hat. Der die besten Schleichwege und unberührtesten, ländlichen Strecken gefunden hat. Der mit spontanen Stops entlang der Straße und Einfach-Anquatschen der Leute mir Türen und Einblicke in das Alltagsleben er-öffnete, die mir sonst verschlossen geblieben wären. Wir bewältigten zusammen die ZickZackGemetzel-Kurven des Zentralen Hochlandes, bestaunten sichtbar-unsichtbare RegenwaldDickichte, düsten am kräftigen Grün der Reisfelder vorbei und besuchten zahlreiche Minoritäten-Dörfer. Das primitiv-ursprüngliche Leben steht dort bereits auf der Kippe, denn die Moderne kämpft sich auch hier immer weiter vorwärts. Die junge Generation zieht den einfachen HolzBastBarracken und handgewebten Trachten lieber Steinhäuser und westliche Kleidung vor. Eine hart erarbeitete, wenig ertragreiche Existenz ist es nichtsdestotrotz. Aber wahrscheinlich liegt für mich genau in dieser "Rückständigkeit" und unbedarften Schlichtheit ihrer Lebensumstände eine faszinierende existenzielle Magie, die mich im Innersten bewegt, aufrüttelt, ausfüllt.
Eindringlich und "dramatisch" war auch die wachsende Verbindung zwischen Hoan und mir. So durchlebten wir mitten in der Tour eine tragische Wende, die nicht nur Hoan schockte, sondern auch mich mit tiefem Mitgefühl und Verständnis erfüllte. Der plötzliche Tod eines langjährigen Freundes ist immer desaströs. Wenn dann aber auch noch gemeinsame Pläne für eine berufliche Zusammenarbeit geschmiedet wurden, kommt das einem TotalKollaps gleich. Tag Vier war also ein kollektiver Trauertag, der uns beide dennoch, oder gerade deswegen, noch mehr verbunden hat.
Vereint haben wir genauso am siebten Tag unsere Vegetarier-Allianz bestritten, denn für Hoan als Buddhisten steht zweimal im Monat VeggieDay auf dem Programm. Nicht nur an diesem Abend hat er mich in die lokalste aller lokalen Essenshöhlen geschleppt (inklusive fermentiertem "Tofukäse"), sondern zu jeder Mahlzeit gab es immer wieder herrliche "BestellDiskurse" über mehrere Minuten hinweg, die augenblicklich in einem vollbeladenen Tisch endeten. Meist einfach, aber lecker. Manchmal gigantisch (Stichwort: Banh Xéo-Essen in Kon Tum!).
Unvergesslich: Die einmaligen Szenen der Straße. Schulkinder, die in der Mittagspause auf ihren Rädern um die Wette nach Hause hechten. Ein torkelndes Alkoholopfer am frühen Vormittag, im Vorbeifahren mit den Augen "gestreift". Ein Anderer hat sich bereits komplett hingelegt, auf der Straße wohlbemerkt. Hunde und Hühner, die auch im letzten Dorf noch wie gebannt mitten auf der Fahrbahn stehen bleiben und Hoan zu einer Hup- und Bremsorgie inklusive seinem typischen "Crazy Dog/Chicken!"-Ausruf zwingen. Die ausgebrannten Buswracks entlang des Ho Chi Minh-Weges, die scheinbar einfach vergessen wurden. Die Kinder, die beim Passieren der kleinen Hüttenansammlung plötzlich "verrückt spielen" und uns enthusiastisch herüberwinken. Der GoldFish-Verkäufer auf seinem Moped, der vor uns zum nächsten Markt rumpelt. - Ich habe sie alle gesehen, für Sekundenbruchteile flimmerten sie in mein Hirn hinein, erzeugten dort automatische Synapsenreaktionen, die ein DauerSchmunzeln in mein Gesicht zauberten, und doch waren diese Szenen mit dem nächsten Blinzeln bereits vorbei. Aber Zeit spielt bei dieser Art von Unterwegssein absolut keine Rolle. Bereits an Tag Eins kam mir jegliches Gefühl für Uhrzeiten und Verortung abhanden. Ich begann, mich mehr und mehr auf meinem Rücksitz fallen zu lassen, streckte entspannt die Hand in den kühlenden Fahrtwind aus, saugte gierig den warmen, erdig-holzigen Duft der rötlichen Erde ein, spürte die Regentropfen auf meiner Haut. Ein Gefühl von großzügiger Weite und Zwanglosigkeit. Eine geradlinige Freiheit der Sinne und Gedanken, die sich mit der reduzierten Bestimmtheit und geerdeten Landverbundenheit der Bewohner zu einem enthemmten "Reise-Orgasmus" ausweiteten.

Jeden Abend habe ich den Staub der Piste vom Gesicht gespült. Meinem Zimmerhaustier, dem Gecko, ein beschwingtes "Gute Nacht!" zugerufen und mich in einem wohligen Erschöpfungszustand in die Decke gekrümelt. Nur bei unserem Homestay-Aufenthalt bei einem von Hoans Freunden, da war die wohlverdiente Feierabendruhe dahin! Ein kompletter, maximalst-schreiender Kindergarten tobte um mich herum. Das Familienessen weitete sich zu einem leichten Trinkgelage aus (GoldFish sollte/mußte mitmachen!), gefolgt von einem Ausflug in die von Vietnamesen so geliebte, leidenschaftlich zelebrierte Karaoke-Welt! Oh Hah! Das war dann doch ein Hauch zuviel an "Aufregung" und "Zumutung"! - Die vietnamesische Gastfreundschaft in allen Ehren, doch sie meinen es oft zu gut mit dir. In ihrer Direktheit und eindringlichen Herzensgüte bestürmen sie deine Nerven und Auffassungsgabe. Leichte Überforderung stieg in mir an diesem Abend auf. Dennoch: Ich habe seelenruhig neben der Ehefrau im Familienbett geschlummert, haha!
Nach acht vollgepackten, bildgewaltigen, massivst-eindringlichen Tagen kam das, was am Ende einer Reise immer folgt: Der Abschied. Es ist der 29. März. Hoan liefert mich in Da Nang bei meinem Hostel ab. Hastiges Abladen meiner Gepäcksäcke, ein kurzes "GoodBye!" und dann biegt er bereits um die nächste Ecke. Ist so unglaublich plötzlich aus meinem Blickfeld entschwunden. Ich bin nun zum mittelklassigen Fußgänger zurückdegradiert worden. Benommen stehe ich am Straßenrand. Komme mir vor wie ein Kind, das man ausgesetzt und einfach vergessen hat!
Hoan! Ich hatte solches verdammtes Glück, dir in Da Lat zufällig begegnet zu sein! Ich danke dir für dieses unvergessliche Once-In-A-Lifetime-Erlebnis, das ich mit dir zusammen auf deinem Bike erfahren durfte! Man sagt ja: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Ich freue mich bereits auf unser Irgendwann-Wiedersehen. Es kommt. Bestimmt!
Tour-Details: 22.-29. März 2017 - zurückgelegte Kilometer: 1250 - überfahrene Hunde/Hühner: 0 - besuchte Minoritäten: 6 - "Crazy"-Ausrufe von Hoan: 1000? - besuchte Friedhöfe: 3 - GoldFish im Waschbeutelkostüm: 2 Mal - Verletzungen: 1 Kinderschramme, leichter Sonnenbrand, 3 Mückenstiche - Zimmerhaustiere: 2 Mal Wandgeckos, 1 Mal eingebildete Maus (die sich dann als das Quietschen meiner Schuhe herausstellte!) - abbruchreif-montierte Waschbecken im Hotel: 4 - Energiebilanz: +300% -0%
Strecken-Details: Da Lat - Lak - Buon Ma Thuot - Ia Grai - Kon Tum - Kham Duc - A Luoi - Hue - Da Nang

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