Von der Leine gelassen.
Wie ein wildes Tier stürmt es die Sicherheitszone.
Rasend, mörderisch, obsessiv.
Dabei so unverschämt unbeeindruckt von sorgsam zurechtgezimmerten Fallgruben.
Hinterlässt es doch gleich selbst ein neues Netz aus listigen Fangeisen.
Zackbumm.
Erwischt.
Wie ein Buch beschreiben, das weder simpel, genügsam oder blosser Zeitvertreib ist?
Wie die Worte finden, wenn der radikalste-poetischste MetaphernOrkan noch immer in den Ohren schrillt?
Wie die Gedanken ordnen, wenn der Geist noch immer zittert und bebt vor expressiver Erschöpfung?
Wie dem Kopfkino eines so begnadeten Musikers und Songwriters habhaft werden, dessen Universum seit jeher um Mörder, Huren, rachsüchtige Liebende, Freaks, Verrückte kreist?
Wie, zum Teufel nochmal, dem dunklen Sumpf der Revolte entkommen, wenn die gierigen SchlickHände an dir bedrohlich zerren?
Immer weiter hinab in den Abgrund des Bösen?
Nick Caves erster Ausritt in die literarische Welt [und der datiert nun schon bereits zurück aufs Jahr 1989] ist wahrlich kein vergnüglicher Tanz auf den Wolken.
Jedenfalls nichts für zartbesaitete Mauerblümchen.
Nichts für Liebhaber theatralischer ZuckerwattenSprache.
Nichts für idealistische Verfechter von solidarischer Gemeinschaft und lauschigem Familienleben.
Nichts für missmutige RegenHasser.
Nichts für existentielle GrenzPfosten.
Nichts für all jene, die sich vor diversen menschlichen Körpersubstanzen und -flüssigkeiten scheuen.
Nichts für LeidVerachter und HorrorUnwillige.
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| Kawara's Thanatophanies - Perfekte Ikonen des Grauens. |
Und die Eselin sah den Engel.
Das ist tausendjährig währender Rabatz für all die bis dato geltenden (Lese)Normen.Das ist beinharte Wortgewalt.
Ein bitterböse Galle speiendes MonstrositätenKabinett, wo der Wahnsinn zuhause ist.
Das ist dreckigste Blutschande, sadistischste Scheinheiligkeit, rabenschwarzestes Mordsgezeter, tiefstes Sumpfland, abgründigster Fanatismus.
Ein kolossaler Zusammenstoss auf der Nervenautobahn.
Die intellektuelle Massenkarambolage bei Tempo 300.
Ein wahres MONSTER von Buch.
So IRREGULÄR, so ABSONDERLICH, so vollkommen BIZARR, dass es mich tagelang zum SchlafVerweigerer gemacht hat.
Konfus.
Ja, sowas von konfus.
Und von solch gewaltsamen Ausmaß, dass kein noch so bluttriefender SlasherFilm jemals an dieses Bestiarium heranreichen könnte.
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| Besessener des Leids. |
Es ist ein Roman. Und doch eher Fragment.
Ein biblischer Exzess [im wortwörtlichen Sinn] der Entmenschlichung.
Vorgetragen von einem, der sterben wird.
Verstummt. Geschunden. Blass und blutleer.
Ein Aussätziger. Ein Wilder.
Tausendfach in den Arsch gefickt. Halbtod geprügelt. Geschändet.
Ein Getriebener. Ein Phantom.
Einer, der schon immer im Loch des Lebens feststeckte.
Und nun in seinem Schlammgrab langsam nach unten sinkt.
Der Gaumen dieses zahnlosen Grabs saugt mich hinab - in diesen Sumpf, diesen Schlund, doch hab ich Angst, mir die Mordhand naßzumachen. In Wahrheit nämlich haben die zwei Krähen es auf meine Augen abgesehen - wie falsche Fuffziger kreisen sie und lauern, während da oben die wallenden Nebel sich zusammenrollen und sterben, und jetzt merk ich, daß es dunkler wird, und bin doch erst zu einem Viertel untergegangen - höchstens - und sinke weiter.
Es ist Euchrid Eucrow, Mörder und Selbstmörder, der hier aus seinem selbst geschaffenen Grab spricht.
Ein Niemand, geboren im fernen gottverlassenen Tal der Ukuliten, einer fanatischen, bigotten Sekte.
In eine Welt hineingeschlittert, die ab diesem Zeitpunkt mehr denn je einer stinkenden Jauchegrube gleicht.
Gezeugt von einer verschnapsten Höllensau ["Zu besoffen zum Pressen" ] von Mutter und einem verkrümmt[en], von Zorn verzehrten Fallensteller als Vater. Jener ein Abkömmling des berühmt-berüchtigten Morton-Clans, einer SerienmörderFamilie voll Inzucht, Kot und Schlächterei.
#2, das ist Euchrid. #1, das ist sein Bruder, der genau wie er neben ihm in eine mit Zeitungspapier ausgelegte Obstkiste deponiert wurde. Seite an Seite stehen die Kisten völlig unbeachtet auf dem Tisch in der Hütte - schwummriges FuselLicht erhellt den Raum -, bis der Erstgeborene kurz nach der Geburt unvorhergesehen stirbt.
"Auf Wiedersehen, Bruder", hab ich zu mir gesagt, als er sich fortschlich, und eine ganze Minute lang dachte ich, auch ich würde untergehen, so verdammt kalt war sein Sterben.
Verzweifelt versucht der Winzling Euchrid in einer Art MorseSprache, bestehend aus Pochen, Klopfen und Pausen, Kontakt mit dem toten Etwas neben sich aufzunehmen [ Ich mein, woher hätt ich wissen sollen, wie verflucht tot ein Toter wirklich war? ]:
"Vergiß-Deinen-Bruder-Nicht-Antworte"
Aber das tat mein Bruder nicht. Ich klopfte ein zweites Mal und fügte am Ende ein "Bitte" an, doch wieder kam keine Antwort. Unverzagt erzählte ich ihm dann, was ich vom Leben wußte [...]
"Das-Leben-Ist-Böse-Ist-Die-Hölle-Kannst-Du-Fliegen-Höll-Hell-Hilfe"
Schon damals in seiner kleinen Kiste schwante Euchrid nichts Gutes über seinen bevorstehenden Weg.
Bis zum heutigen Tag ist es mir ein Rätsel, wie ich es geschafft hab, mein Dasein in jener Obstkiste zu überleben. Denn zu behaupten, ich sei ein geprügeltes Baby gewesen, wäre mehr als bloß ein bißchen richtig - "es wäre vollkommen richtig! Ja! Ich war ein verdammt geprügeltes Baby!"
Und wie er da so lag und grübelte [Ohja! Selbst FrischGeborenes ist sehr wohl in der Lage reflexive Loopings zu vollbringen!], stürzten kreischend Schwärme von amputierten Insekten kreisel[nd] in seine "Wiege". Geröstetes KadaverGejammer, verbranntes MottenGewinsel. Euchrid blutete vor Schreck das Hirn.
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| Like a Phantom. |
Wie ein Besessener spürte er den Zuckerrohrarbeitern und den Hobos in ihren peripheren Behausungen nach. An Fensterscheiben klebend und unter Bodenplanken steckend, belauerte er die streng bekittelten, selbst-züchtigen Frauen und Männer der Gemeinde in ihren Hinterzimmern. Er folgte dem selbsternannten HetzPrediger Abie Poe bei seinem wahnwitzigen Unternehmen, die einfältige Meute herdengleich zur 'Schlacht[er]bank' der Abtrünnigen zu führen. Er war das protokollierende Auge bei dem tagtäglichen blutrünstigen Spektakel seines Vaters, wenn dieser den noch lebenden TierFetzen, die er tagsüber in all seinen absonderlichen Falleisen gefangen hatte [Einmal aufgestellt, schrien die Fallen wie Babys.], beim finalen Gemetzel in der Pseudo-GladiatorenArena zusah:
Wie ein verrückter Imperator hockte Pa, zwanzig Fuß hoch in der Luft, auf der Kante seines wankenden Throns und starrte in die rostige Arena, um sich an dem Massaker darin zu weiden.
Er war das absolute, allgegenwärtige Gedächtnis von Ukulore Valley, als der verblendete, irregeleitete Mob der Hure Cosey Mo auf ihrem Wohnwagenhügel eine dermaßen brutale Abreibung verpasste, dass sie kurz darauf als toter, geschundener, aufgeblähter Korpus im Graben lag.
... sie alle waren nichts als [...] Marionetten! Folterbank, Zuchtrute und Scheiterhaufen, Richtblock und Schwert, Pranger und Halseisen, Geißeln und Steine und Hexenstuhl, Peitsche und Rad, Tretmühle und Planke, Stiefel und Faust und alles andere, die ganze endlose Liste - all das lauerte im Verborgenen ...
Er war der Chronograph der sinflutartigen Regenjahre - der großen, allseits um sich greifenden Depression, dem apokalyptischen Donnerama des großen Frevels. Vernichtende Apathie in allen Seelen, elende Verderbtheit:
... trübe waren die Tage und pechschwarz die Nächte. Die Stadt brach zusammen. Manches vermoderte. Anderes quoll auf. Einiges blieb stecken, anderes versank. Manches wurde welk, und manches schrumpfte.
Obszön. Niederträchtig. Dreckig. Ungefiltert wand sich das bösartig lärmende Übel durch den Matsch. Dazu kläfften die reudigen Hunde im Tal.
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| What the F***! |
Eine klebrige Fratze verzerrt-versoffener Abartigkeit, die zwischen BRECHREIZ und grotesker FASZINATION hin und her torkelt.
Und Euchrid? Der wandelte sich immer mehr zum rasend-konfusen Psychopathen.
Der (selbst)ernannte Voyeur des Herrn, der bisher am Rand gelauert hatte, schwang sich vom Spitzel zum SABOTEUR auf, den finalen göttlichen Auftrag erwartend [ O Gott! Wie lange muß ich noch weitermachen? ].
Er, der KÖNIG von HUNDSKOPF, baute eine Festung aus mannshohen WellblechPlatten um seinen Aussichtsturm. Ein abgerichteter Haufen aus lefzender KöterMasse jaulte sein niederes Untertanendasein [ Meine Hunde konnten einen Hamster in Atome zerlegen! ]. Zeit ent-rückte zunehmend ins Nichts. Fieberte nahendes Grauen. Ahnungsvolles Knistern, orgiastisches Summen der Wahnbilder im Kopf des überspannt-gespenstigen Monarchen.
Hab ich euch von dem höllischen Schrecknis der "Totzeit" erzählt? Habt ihr von den Blutungen gehört? Von den "Schüttelfrösten"? Bloße Bruchstücke dahinrasenden Lebens [...]. Die Zeit durchgedreht. Nacht und Tag, Folgendes und Verfolgtes, schlagen ihre leuchtenden Himmelsbälle von Horizont zu Horizont. Sonnenaufschläge und Mondreturns versengen das Gewölbe der Zeit mit ihrem irrsinnigen Hin und Her, Vor und Zurück, Dunkel und Licht, schwingen sie wie die Uhr eines Hypnotiseurs an der Uhrkette des Himmels - O ja, wie das Gependel einer nackten Glühbirne in einem leeren Zimmer. Eine Stunde! Ein Tag! Weg! Verkrümelt! Unbefleckt und unrettbar entflohen, um nie gelebt zu sein. Wie der Blitz. "Totzeit!" "Totzeit!" [...] Ermordung meines Lebens - meiner Lebenszeit.
Das Pochen des Wahnsinns erhöhte Schlag um Schlag die Frequenz. Der erhofft katharsische End-/Höhepunkt der Mission raste unaufhaltsam Richtung Katastrophe, dabei eine Spur mentalen Terrors nach sich ziehend.
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| Des Wahnsinns Schwere. |
...ich glaubte, mir würde der Schädel platzen, so stark war das Druckgefühl. Ich sah alles durch einen purpurroten Schleier. Neue Adern barsten unter meiner Haut. Mein Hirn tat furchtbar weh. Das Keuchen meines Atems stieg um eine Oktave...
... bis..., ja bis die Welt rot sah und König Euchrid den schweigsamen und höchst finsteren Stubenhockern, den 'komparsischen' Lesern, sein Meisterwerk offenbarte.
... [ich] dreschte mit meiner riesigen Sichel auf die ganze beschissene Welt ein, Köpfe rollen noch und nöcher, Ströme von Blut, Kloaken von Blut, Meere von geköpften und verstümmelten Frevlern. Hack! Hack! Massenausrottung, Massentod, Massenblutvergießen, alles durch meine Hand. Hack! Hack!
Oder doch nicht?
...
Ehrfürchtiges Staunen.
Angehaltener Atem als der ekstatische Taumel abrupt vorbei ist.
Der halbe Körper noch im zähflüssig-quengelnden Treibschlamm der letzten Seiten steckend.
Hypnotisierter Puls.
Juckende Augen.
Knisternde Stille.
Und nun?
Was bleibt von diesem erstaunlich 'leisen' Ende übrig?
Ein Hauch von feuchtem Verwesungsgeruch?
Ein zähneknirrschender Schimmer menschlicher Unheimlichkeiten?
Ein vages NachVibrieren der Sinne?
Vielleicht ist es ja einer der letzten ver-queeren Gedanken des sterbenden Euchrid Eucrow, der wie der Arbeitsgesang der Fliegen auch jetzt noch in meinem Hirn verdächtig raschelt und rauscht...?
DER TOD IST DAS PFLASTER AUF DEM SCHMERZ DES LEBENS - das ist meine Botschaft an die Welt. [eig. Hervorhebúng]
Nick Cave. Und die Eselin sah den Engel. 15. Auflage. Piper Verlag, 2011.
[Chapeau! auch an den Übersetzer Werner Schmitz, der ganze Arbeit geleistet hat.]
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