"You die, so what! You are only a thought. Your thoughts die all the time!"
- Swami Aditya Anantanshu -
"Ram Naam Satthya Hai! Ram Naam Satthya Hai!" - Schallend dringt der vehemente Ruf mehrerer Männerstimmen von Weitem durch die engen, staubbeflusten Gassen. Noch bevor sie überhaupt visuell auszumachen sind, weißt du umgehend: DER TOD KOMMT! "Ram Naam Satthya Hai!" - Ramas Name allein ist Wahrheit! und schon hastet der Leichenzug mit seiner gold-orange glänzenden "Geschenkverpackung" an dir vorbei! Mit zahllosen saffronfarbenen Leichentüchern, glitzernden Bändern und Marigold-Blumengirlanden umwickelt, schwebt der tote Körper - nun seines Atems (der Wahrheit) beraubt - auf einer Bambustrage seinem endgültigen Ziel entgegen. Während du gerade genüßlich deinen Lassi auslöffelst, versunken bist in der sprudelnden Lebendigkeit des Augenblicks. Bizarr! Irreal! Und doch so vertraut-alltäglich in Varanasi!
Kashi, so der traditionelle Name Varanasis, ist die Stadt Vishvanah's, des Herrn des Universums (Shiva). Für die Hinduisten ist sie die heiligste Stätte überhaupt, denn wer hier am Ganga-Ufer verbrannt wird, erreicht automatisch Moksha - die Befreiung aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten. Und so trudeln den ganzen Tag über die Toten aus den umliegenden Stadtvierteln und darüber hinaus ein - Nicht selten fährt ein Jeep mit der leblosen Fracht auf dem Dach durch den flirrenden MittagsStau. Sein Ziel dabei: Manikarnika Ghat, dem Hauptkremationsplatz in Varanasi. Unmittelbar an den Stufen des heiligen Flußes gelegen und unverkennbarer Anziehungspunkt der "TodesTouristen". Wie sie mottengleich dem Feuer entgegenströmen, folge auch ich dem Sensenmann! Dränge mich durch das schmale, fast klaustrophobische GassenLabyrinth, vorbei an mampfenden Kühen und zahllosen "Have-A-Look!"-Shopbesitzern. Weiche dabei sekündlich einem verrückten Mopedfahrer oder den allgegenwärtigen, frisch platzierten Scheißhaufen aus. Nach wenigen Minuten öffnet sich der zusammengedrückte Straßenzug hin zu einem mit kleinen TeeBretterbuden, verrußten Tempeltürmchen und massiven Holzstapeln versehenen Platz. Der sogar dem schwammigen Himmel ein wenig Bewegungsfreiheit einräumt. Du stapfst auf den glitschigen Treppen eines düsteren Durchgangs hinunter, eine starr-wuselige Männerhorde "erwartet" dich. Du kämpfst dich durch die Körperansammlung hindurch, schwerer Rauch flutet bereits deine Nase. Dann weitet sich dein Blick auf eine ungewohnte, expressive Szenerie: Auf mehreren Terrassen gleichzeitig brennen an die zwanzig "Scheiterhaufen"! Mal im glühenden Endstadium, mal gerade entfacht. Daneben, auf den Stufen zum Ganges: fünf bis sechs "Geschenkpakete" in der Warteschleife. Dazu der "Nachschub", der fast minütlich aus den Gassen eintrudelt. - PRIMETIME in der TODESZONE! - Was war denn gestern nur los, dass soviele heute hier gelandet sind?? Kein einziges Mal seit meiner Ankunft habe ich in Manikarnika solch immense Geschäftigkeit und LeichenAnstauung gesehen!
Ich sondiere das Geschehen, mein Blick schweift von den mit wuchtigen Holzstücken beladenen Känen unten im Wasser, über die erste brennende Etage der niedersten Kaste (aus Platzgründen wird sogar der schmale Streifen direkt am Fluß genutzt!) und dem emsig eindreschenden Spalter der verwurzelten Scheite hinauf zu der direkt vor mir liegenden Kremationsfläche. Dort bleiben meine Augen urplötzlich hängen: Aus zwei der lodernden Flammenhaufen ragen blanke menschliche Füße heraus! - Wie störrisch-dürre Äste, wie klumpig-verrenkte Attrappen! Energisch schiebt der zuständige Dom (Kremations-"Wärter"/Wächter des Heiligen Feuers) die widerspenstigen "Körperteile" zurück ins Feuer, sodaß auch sie von Agni, dem Gott des Feuers, vernichtet werden können.
"Agni is the fire and that which is consumed, the poison and the cure, the beginning and the end, the beginning without an end, the end without a beginning. He is immortality and death. He reduces everything to ashes, a condition which cannot be reduced further and has thus reached eternity. He will be the one to set our pyre alight and swallow our body. He served the purposes of making chai, cooking rice, keeping mosquitoes away and consuming the ego."
- aus Patrick Levy: Sadhus. -
Es schmort und "brutzelt", starker, schwärzlicher Qualm fräst sich in die Luft, weht herüber, macht das Atmen unglaublich schwer. Stechende Hitze umflimmert mich, die Augen brennen, Ascheteilchen regnen auf mich hernieder. - Ich muß immer wieder ein Stück zurück, da meine Lungen bereits zu schmerzen beginnen.
Es riecht unverkennbar nach MENSCHLICHEM "BARBECUE"! - Doch in Manikarnika gibt es keine Pause, kein Stillstand. Zu viele wartende "Kunden" heute. - Im Hinduismus wird das Verbrennungsritual als Voraussetzung angesehen, um die Seele zu reinigen und vom nun "wertlosen" Körper zu befreien. Frauen sind seit einiger Zeit nicht mehr zugelassen, denn ihr Wehklagen würde die Seele beim Entweichen/Aufsteigen "stören". Zudem kam es leider immer wieder zu Fällen von Sati - der selbstopfernden Witwenverbrennung, bei der sich die Frauen mit ins Feuer des Ehemannes stürzten.
Aufgrund der heutigen Rush-Hour warten die Doms das vollständige Herunterbrennen der einzelnen Stapel nicht ab, sondern drängen den kahlgeschorenen HauptTrauernden der Familie, die Feuerreste symbolisch mit einem Tonkrug zu löschen, bevor er selber halbherzig mit ein paar Eimern Ganga-Wasser nachhilft. Ehe ich mich umgesehen habe, ist bereits der nächste Scheiterhaufen aufgeschichtet, das nächste "pompöse Geschenk" entpackt, auf das Holz geschmissen und auf die letzte Reise gebracht worden. - Der Nächste, bitte!
Trotz dieser permanenten Betriebsamkeit verströmt dieser Ort, "Maha Shamshana" - Der Große Kremationsplatz der Welt - eine unbeschreibbare Ruhe, ja fast transzendierende Stille. Das Schweigen des allgegenwärtigen Todes. Gekoppelt mit der "Emotionslosigkeit", oder vielmehr Gelassenheit der anwesenden Familienmitglieder, in deren Gesichtern eher subtile Ernsthaftigkeit als bestürzte Trauer auszumachen ist. Schlichtes Einvernehmen mit dem Ende. - "Paradoxer" Weise steht Manikarnika aber nicht nur für Tod, Verbrennung, Moksha, sondern ist zu gleichen Teilen ein faszinierender Ort der Vitalität. Chai-wallas laufen mit ihren Blechkannen durch die Reihen, bieten den überall heißgeliebten Gewürztee in kleinen Plastebechern oder Tongefäßen an. Daneben sind die zumeist älteren Männer auf ihren Beobachterposten in irgendwelche Besprechungen vertieft, werfen ab und an einen weitschweifigen Blick auf die Szenerie, bevor sie sich wieder "wichtigeren" Themen zuwenden. Und mittendrin in der "Todeszone" schlurft eine Kuh ihres Weges, auf der Suche nach der nächsten Blumengirlande zum Verfuttern.

Ein sonderbares Gefühl befällt mich ein ums andere Mal, wenn ich mich dieser kuriosen Ansammlung von teils alltäglichen, teils "unkonventionellen" Details hingebe. Manikarnika kommt mir wie ein eigenwilliger, wundersamer Mikrokosmos vor, der genauso von strikten Regeln beherrscht wird, wie er immer wieder von der indischen "ChaosMentalität" durchbrochen wird. Und beschwört trotz der steten Präsenz von Handys und Plastikmüll ein lebendes Bildnis der einstigen Vergangenheit Indiens herauf. So wie auch schon vor Jahrhunderten lodert noch heute das ewige Heilige Feuer, das jeden einzelnen Brand erneut entfacht (Feuerzeuge oder andere Zündmittel sind hier nicht erlaubt.). Und so wie einst, geleitet auch im modernen Zeitalter Shiva persönlich jeden "Neuankömmling" in die andere Welt hinüber.
Namah Shivayah!





