"To linger in Banares is to linger in another era, an era which one cannot quite date by century."
- Diana L. Eck -
"The very stones of Kashi are Shiva." [Eck] - Shiva, so sagt es eine Legende, wählte einst die Stadt des Lichts/der Erleuchtung als seinen irdischen Wohnsitz. Seitdem ist die Stadt mit einer unerschöpflichen Anzahl von Lingas (phallisches Symbol der formlosen, kreativen Energie) zugepflastert. Eindringlicher als in Kashi wird wohl kaum dem "Zerstörer" und "Beschützer", dem Gott von Leben und Tod gehuldigt. Der nicht nur das "Letzte Opfer", den Toten in Empfang nimmt, sondern den alten Schriften zufolge auch den reißenden Strom Ganges mittels seiner Haare zum sanften Fluß bändigte und ihn so zur Essenz seiner göttlichen Kraft machte. Ganga - in den Köpfen der Inder noch immer der "Nektar der Reinheit", doch in Wahrheit wohl eher zu Tode verehrt. Unbeeindruckt von all dem "Zirkus", der sich jeden Tag an seinen Ufern abspielt, windet er sich wie ein "pudriger" Seidenschal entlang der Stadt, schweigt hilflos zum ausufernden Mülldesaster. Darüber spannt sich ein gelangweiltes, stagnierendes Himmelszelt, zugekleistert mit einem trüben Dunstvorhang, der die Sonne nur in den Morgenstunden als faden, rötlichen Klecks ausspuckt.
Kashi ist ein rastloses, aufdringliches Kaleidoskop der Sinnesreize, das dir die Sprache raubt, dein Gehör malträtiert, deine Geruchsnerven provoziert, das Auge an den Rand seiner Verarbeitungskapazität bringt und deinen Geist vielleicht sogar in den Wahnsinn treibt.
Sie ist die Stadt der Extreme: Penetrantes Geruchswirrwarr zwischen Fäulnis, ätzendem Urin, schwerem Räucherwerk, Knoblauch-Curry-Fettigem Öl, Kuhscheiße und Verbrennungsgestank durchzieht das enge Gassenlabyrinth. Dunkel, stinkend, klaustrophobisch windet sich dieses durch die Altstadt. - Wo ist hier der Anfang? Wo der Ausgang? - Dein Orientierungssinn wird gnadenlos auf die Probe gestellt. Du stapfst durch das Staubgeflimmer, umschlängelst mit jedem vorsichtigen Schritt verrottende Essensreste, stinkenden Plastikmüll und die frischen Hinterlassenschaften der mampfenden "AbfallBrigade". Die behörnten RiesenKuhteile zu passieren, kann ab und an zur kniffligen Herausforderung werden, vorallem wenn sich gleichzeitig die unverschämten Mopedfahrer und drängelnde Mitglieder der BarfußParade an dir vorbeiquetschen! - Was passt alles nebeneinander in einen ZweiMann-Breiten-Durchgang? Hier kannst du es testen! Und du bist mittendrin!
An manchen Tagen ist kaum ein Durchkommen möglich: EndlosSchlangen verstopfen die schmalen Durchläße. Alle warten "geduldig", mit hitzigen Zwischeneinlagen versehen, auf Einlass in die Tempel, und das oft stundenlang. Selbst die verhutzelste Oma, die dir eigentlich kaum bis an die Schulter reicht, will dir dabei beharrlich nicht aus dem Weg gehen, boxt dir eher noch in die Seite, da sie JETZT unbedingt zu ihrer Tempelsitzung muss! Respektvoller "Sicherheitsabstand", gar Privatsphäre suchst du hier vergebens.
Freundlich, aber bestimmt gelingt es dir dann doch, dich durch die drückenden Körpermassen zu schieben (Augen zu und durch!), hastest an den schwer bewaffneten Militärposten vorbei, die hier an jeder Ecke zu finden sind (aufgrund von Ausschreitungen/Bombenattacken in der Vergangenheit). Du widerstehst allen "Madame, have a look!"-Offerten der SareeÖlKitsch-Verkäufer, marschierst am emsigen Hosenbügler vorbei (Hier wird noch mit schweren EisenKohleBügeleisen aus dem vorigen Jahrhundert gearbeitet!), wirfst dem Schneiderer, der an seiner ebenso steinalten Nähmaschine sitzt, ein verschmitztes Lächeln zu und lehnst dankend den verführerisch duftenden, frisch gekochten Chai ab, der hier an jeder Kreuzung zu finden ist (Doch du hattest schon zuviele heute!). Du biegst um die Kurve, rammelst dabei fast mit dem um die Ecke schießenden nächsten BikeFahrer zusammen, trittst dem Straßenköter fast auf den Schwanz (Elende, zerrupfte Kreaturen sind das!). Plötzlich beißender Uringestank, der dich so unvermittelt trifft, dass du den Atem anhalten mußt. Doch zu spät: Ein leichter Würgreiz ist nicht zu unterdrücken. In Windeseile huschst du an dem öffentlichen Pissoir vorbei - im Grunde wird hier überall, ob nun Pissoir oder Hauswand, direkt vor deinen Augen hingepisst; aber immer sind es nur die Männer! Die verfilzte DreckkrustenFrau kann dich ebenso nicht schrecken, wie der Kleinwüchsige oder der am Boden kriechende Beinlose. Alles Elend dieser Welt scheint hier versammelt und auf dich zuzuströmen. Die schmierig-schwarze Hand ausgestreckt, penetrieren dich die aufgereihten Bettler: "One Rupee! Just one Rupee, please!" - Solltest du es geschafft haben, "unbeeindruckt" an ihnen vorbeigekommen zu sein, ohne dein soziales GeberHerz ausgepackt zu haben, - Und du solltest es! Sonst bist du nicht nur dein gesamtes Geld los - wenn einer kommt, kommen sie alle! - ; am Ende hast du nicht wirklich einem von ihnen geholfen! Das ist ein strukturelles, gesamtsoziales Problem, das nicht durch ein paar Touristen-Rupees gelöst werden kann! - wenn du dich also erfolgreich an der Meute vorbeigemogelt hast, die letzten Stufen hinunter zu den Ghats, zum Ganges nimmst, durchfährt dich ein jähes, innerliches Aufatmen. Eine paradoxe Szenerie der Ruhe breitet sich vor deinen Augen aus: Die Luft steht, die unsichtbare Sonne drückt. Alte Männer in knappsten Unterhosen stehen bis zur Hüfte im Wasser, eingeseifte Gesichter, faulenzende Herrschaften unterm urigen Sonnenschirm. Stille Zeitungsleser, lungernde Straßenjungs, energische Wäscherinnen bevölkern die Treppen.
Du blickst dich um, deine Augen folgen dem mondsichelförmigen Verlauf der Ghats von einem Ende im Osten zum Anderen im Westen. Wie an einer Perlenschnur aufgefädelt liegen die Gangesstufen an den Ausläufern der Altstadt. In der Ferne siehst du Rauchschwaden der Verbrennungsstätten aufsteigen. Kleine morsche Holzboote dümpeln in der Mittagsstille. Vereinzelte Drachen tänzeln unruhig am gelangweilten Himmel. Etwas Nicht-Fassbares liegt in der Luft, verschluckt das Gestern und Morgen. Etwas Fließendes, Ungreifbar-Kraftvolles schwabbt dir entgegen, umschließt dich, kriecht in deine Hautporen, steigt in dir auf. - Was diese geheimnisvolle "Energie" eigentlich ist, woher sie kommt, ob sie gar, hüstel, "spiritueller" Art ist, ich weiß es bis heute nicht! Vielleicht ist es "nur" der "Charme" dieses Ortes, seine unvergleichbare Einzigartigkeit? Dieses flirrende, faszinierende Potpourri aus tausenden Gesichtern-Typen-Lebensgeschichten, das sich hier auf engstem Raum ballt, sich in jeder Sekunde von neuem durchschüttelt und wieder zusammenfügt ? Vielleicht ein "Test" meiner immerwährenden Rastlosigkeit, hier konfrontiert mit dem "Stillstand" eines zeitlosen, schimmernden Stadtgemäldes? Ich bin ahnungslos und gleichzeitig "gefangen", lasse geschehen, was geschehen muß, treibe durch die Tage, Gassen, Menschen, nehme meine tägliche Dosis Kashi-Wahnsinn in mich auf, und genau diese innige Annäherung wird es mir am Ende so unendlich schwer machen, diese Stadt wieder zu verlassen!
Ich vergesse dabei natürlich nicht die indischen Männer! Abgesehen von den permanten Starrern (Merke: JEDER Inder glotzt. Und wenn er dies nicht tut, dann nur, weil er gerade mit etwas anderem beschäftigt ist.) und den Geschäftswieseln, umschwirren dich in jeder freien Minute Möchtegern-Machos, fleddrige Straßenjungs und einen auf elegant machende Stadtführer. Und ich betone es noch einmal: Diese "hungrige" Meute ist IMMER da! Wie Fliegen einen Scheißhaufen umkreisen, folgen sie dir auf jeden Schritt. Keine Atempause bleibt dir und schon hast du den Nächsten an der Backe! Seien es die noch recht harmlosen, fast schüchternen Halbstarken, die einfach nur ein Foto mit dir in der Tasche haben wollen (um hinterher mit ihrer "Tourifreundin" angeben zu können), seien es die zielstrebigeren "Did you see the Golden Temple? I can show you!"-Guides, die du für den Rest des Tages nie wieder loswirst oder die dich permanent zuquatschenden Strolcher, die doch nur dein "spezieller Freund" sein wollen und davon leben, dass du ihnen ab und an ein Bier spendierst. Sie nähern sich dir mit dem immergleichen "Fragenkatalog": Wo gehst du hin? Wielange bist du schon hier? Erstes Mal in Indien? Wie heißt du? Woher kommst du? Was ist dein Job? [Eine äußerst wichtige Frage hier!] Bist du verheiratet? Hast du einen Freund? [Indiz für eventuelle "Mehr"-Absichten!] Was denkst du über Indien? Wo übernachtest du? [Aha!:-)] - Innerhalb eines 24-Stunden-Marathons hast du diese "Inquisition" mindestens fünf bis zehn Mal durchgemacht, und keiner der Ich-Will-Alles-Von-Dir-Wissen!-Kerle kann nachvollziehen, dass du vielleicht beim zehnten Annäherungsversuch nicht mehr wirklich gewillt bist, dich durchbohren zu lassen! Sie denken wahrscheinlich, sie wären dein Allererster!:-) Bist du dann auch noch ein paar Tage länger in der Stadt, und du wirst automatisch deine "Stammrouten" etablieren, wirft dir im Vorbeigehen einer dieser ominösen Typen ein "Do you remember me?" - "Last night..." - "Hey, german girl!" entgegen und du denkst nur: WAS???? - Nach zähem Probieren verschiedenster AbwimmelStrategien (Sonnenbrille tragen. Einfach vorbeischauen. Ich verstehe kein Englisch. Ich verstehe garnix. Bin taub.) bin ich am Ende zum Meister im Abservieren geworden! Freundlich, aber bestimmt und immer mit einem entspannten Lächeln im Gesicht. Auch wenn mich der "Burning is Learning!"-Boy, der mich am ersten Tag meiner Ankunft am Manikarnika Ghat abgefangen hatte, bis zum Schluß irgendwie immer mal wieder "begleitet" hat: Wir sind zusammen ins Kino gegangen, hingen stundenlang auf unserem Aussichtsturm über den Scheiterhaufen und laberten über Gott, Tod, Karma, "good life" und "full power".
Noch immer habe ich das Gefühl, mit meiner IndischeMänner-Studie erst angefangen zu haben und noch nicht wirklich den "Knackpunkt" oder gar "Schlüssel" gefunden zu haben. Dieses Thema wird mich wahrscheinlich auch noch in den nächsten drei Monaten begleiten und intensiv beschäftigen. Denn in dem Konglomerat aus "Sammelobjekt", "Beute"-Jagd, "Traue nur mir!", Platzhirschgerangel und aufgestautem Sextrieb (der verzweifelt ein Ventil sucht!) scheint es noch Platz für weitere Muster und Veranlagungen zu geben. - Der nächste, eigenständige "Was ist nur los mit den indischen Männern?"-Report folgt bestimmt.
Nach 17 Tagen Dauer-Varanasi mit gleich drei außergewöhnlichen Festivals (Ich "Glückliche"!) habe ich mich schweren Herzens nun auf den Weiterweg gemacht. Es ist mir dabei nicht leicht gefallen; vielleicht auch aus dem Gewöhnungseffekt heraus. Doch eines kann ich mit absoluter Gewißheit sagen: Kashi ist eine Stadt zum Wiederkommen! Zum UNBEDINGT Wiederkommen!!!






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